Am Gymnasium Marktoberdorf ist es gute Tradition, bei passenden Anlässen den nach Fächern getrennten Häppchenunterricht im 45-Minutentakt aufzubrechen und sich mit fächerübergreifendem, ganzheitlichem Lernen und Arbeiten einer komplexen Themenstellung von verschiedenen Perspektiven mit Kopf, Herz und Hand zu nähern. Was auf diese Weise an praktischem, theoretischen und wertorientiertem Lernen möglich ist, zeigten die Schülerinnen und Schüler der 8. Jahrgangsstufe und ihre Lehrkräfte der verschiedensten Fachrichtungen beim Projekttag Reformation auf eindrucksvolle Weise.
Schon das Anspiel von evangelischen Schülern der 8. Klassen ließ mit dem Auftreten so unterschiedlicher Protagonisten wie Kopernikus, Gutenberg, Friedrich den Weisen und natürlich Martin Luther die Zeitenwende des 15. und 16. Jahrhunderts als ebenso komplexes wie facettenreiches Geschehen im eigentlichen Wortsinn Gestalt gewinnen und machte deutlich, dass das Ereignis Reformation im Gesamtzusammenhang der Entdeckungen, Erfindungen und gesellschaftlichen Umbrüche der frühen Neuzeit zu sehen und zu verstehen ist und Luthers Thesenanschlag ohne diese Voraussetzungen kaum derart weitreichende Folgen gehabt hätte.
Als die zuhörenden Achtklässler anschließend notieren sollten, welche Dinge sie heute in Kirche, Politik, Gesellschaft und Schule für reformierungs- und veränderungsbedürftig halten, zeigte sich, dass die große Mehrheit die aktuellen politischen Entwicklungen samt den Gefahren für die Umwelt und ein friedliches Miteinander durchaus wach und interessiert verfolgt und sich darüber Gedanken macht. Frieden und die Beendigung von Kriegen, Waffenexporten, Hass und Gewalt sind ein zentrales Thema, doch nicht minder wichtig ist ihnen die gerechtere Verteilung von Reichtümern und ein respektvoller, fairer Umgang zwischen Lehrern und Schülern, die Akzeptanz von unterschiedlichen Lebensentwürfen und eine bessere Behandlung von Flüchtlingen.
In den folgenden Unterrichtsstunden und Workshops erhielten die Schüler Impulse aus sieben Fachrichtungen – Musik, Physik, Religion, Geschichte, Kunst, Deutsch und Englisch –, die ihnen aufzeigten, welche Entwicklungen die Zeit der Reformation mit sich brachte und wie sie uns heute noch prägt.
Die abschließende Präsentation von Arbeitsergebnissen aus den Workshops zeigte schließlich, was tatsächlich erreichbar ist, wenn man sich intensiv und kreativ mit einem selbstgewählten Thema beschäftigen kann. So ließ die Musikgruppe Lieder und Instrumentalstücke aus der Lutherzeit erklingen, die Naturwissenschaftler stellten selbstgebastelte Geräte zur Sonnenbeobachtung vor, im Workshop Deutsch wurde Luthers Einfluss auf die Entwicklung einer deutschen Einheitssprache in anschaulichen Wortbildern verdeutlicht, während die Religruppe „explainity“-Videos über wichtige Persönlichkeiten der Reformation erstellte und der Kombi-Workshop Kunst/Geschichte sich von den z.T. sehr drastischen Flugblättern und Flugschriften der Reformationszeit zu eigenen politischen Karikaturen anregen ließ. So entstand ein eindrucksvolles Panorama der Aktualisierung reformatorischer Ideen für unsere eigene Zeit, das deutlich macht, wie lebendig und gegenwärtig eine vergangene Epoche werden kann, wenn man sie nicht nur theoretisch im Fachunterricht abhandelt, sondern handlungsorientiert und ganzheitlich damit umgeht. Entsprechend lautete ein weiterer Thesenvorschlag der Schüler: Projekttag für alle, nicht nur für eine Jahrgangsstufe!
Ingrid Schaffert