Um die Schülerinnen und Schüler zu motivieren und zu ermutigen, politisch zu denken und sich einzumischen, lädt die Fachschaft Sozialkunde des Gymnasiums immer wieder Politiker an die Schule ein. So kam vor zwei Jahren – auf dem Höhepunkt der europäischen Schuldenkrise – der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU) und im letztes Schuljahr war der Bundestagsabgeordnete Stephan Stracke (CSU) zu Gast. Damit das Ganze politisch ausgewogen ist, kamen diesmal zwei Vertreter der Opposition zum Zug: Die Europaparlamentarierin Barbara Lochbihler (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) und der Landtagsabgeordnete Dr. Paul Wengert (SPD) diskutierten mit den Schülerinnen und Schülern der Q11 in der Aula die Frage: „Quo vadis, Europa?“.
Zuerst stellten die beiden Politiker sich selbst, ihre Tätigkeit in den jeweiligen Parlamenten sowie ihre politischen Schwerpunkte vor. Frau Lochbihler sprach dabei über die grundsätzliche Aufgabenteilung von Ministerrat bzw. Europäischem Rat, Europäischer Kommission und Europaparlament in Brüssel bzw. Straßburg und ging auf die Möglichkeiten (und Grenzen) der EU ein, außenpolitisch Einfluss auf bedeutsame Fragen in der Welt zu nehmen. Ein besonderes Anliegen sind der ehemaligen Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland dabei die Menschenrechte und deren Durchsetzung, etwa wenn es um die Rolle der Frau in Saudi-Arabien geht, um die Behandlung von ethnischen Minderheiten oder um Waffenlieferungen von deutschen Rüstungskonzernen an Staaten außerhalb der EU.
Dr. Paul Wengert legte den Schwerpunkt seiner Ausführungen eher auf die „Perspektive von unten“, d.h. er beleuchtete Europa aus der Sicht eines Landespolitikers und ging der Frage nach, welche Vorgaben aus „Brüssel“ die bayerische Landespolitik bestimmen und welche Möglichkeiten der Einflussnahme Bayern in Europa (noch) hat. Hier zeigt sich, dass die Handlungsspielräume der Landesparlamente begrenzt sind, auch wenn in der Europäischen Union grundsätzlich das Prinzip der Subsidiarität herrscht und die untergeordneten staatlichen Ebenen (Kommunen, Kreise, Regionen, Länder) in Eigenregie entscheiden können und sollen, solange sie das ohne Hilfe „von oben“, d.h. aus Brüssel, tun können und solange keine gesamteuropäischen Interessen dadurch gefährdet sind. Die großen politischen Leitlinien, so Wengert, würden freilich im Europäischen Rat bzw. von den Regierungsschefs der EU-Mitgliedsstaaten vorgegeben, auch wenn es in Brüssel den 350 Mitglieder starken „Ausschuss der Regionen“ gebe, der sich für regionale und lokale die Interessen einsetze. Als bayerischer Landespolitiker wiederum könne man über den Umweg des Bundesrates indirekt einen gewissen Einfluss auf die Bundesregierung und damit auf die deutsche Europapolitik geltend machen.
Im Anschluss an diese Einstiegsreferate hatten die Schülerinnen und Schüler dann die Gelegenheit, mit den beiden Parlamentariern über wichtige Themen der europäischen Integration, aber auch über den Alltag als Politiker zu sprechen. Im Mittelpunkt standen dabei vor allem Fragen im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Eurokrise: Scheitert Europa wirklich, wenn der Euro scheitert? Sind Euro-Bonds die richtige Lösung, um die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen? Besteht nicht eher die Gefahr, dass die dadurch günstigeren Kreditzinsen wieder zu höherer Verschuldung statt zu dringend notwendigen Strukturreformen in den Krisenstaaten führen? Ist Angela Merkels Rettungspolitik – der SPD und GRÜNE im Bundestag stets zugestimmt haben – richtig? Die Politiker gingen ausführlich auf die Fragen der Schülerinnen und Schüler ein und verwiesen u. a. darauf, dass es auch aus der Opposition heraus manchmal notwendig ist, in zentralen und politisch lebenswichtigen Fragen gemeinsam mit der Bundesregierung zu stimmen, um nach außen hin ein Bild der Geschlossenheit der deutschen Europapolitik zu vermitteln – auch wenn man in Detail- und Umsetzungsfragen durchaus anderer Meinung sei. Nach 90 überwiegend abwechslungsreichen Minuten und vielen kenntnisreichen Schülerfragen zeigte sich einmal mehr, wie interessant und informativ politische Diskussionen sein können, wenn sie sachlich und fair geführt werden.
Thorsten Krebs