Fotos: Andrea Kiechle
Drei abgerissene, entflohene Sträflinge im tiefen Süden der USA auf der Flucht vor den herannahenden Bluthunden und Sheriffs begegnen einem alten, blinden Schwarzen, der sie mit seiner Schienendraisine mitnimmt. Während im Hintergrund das Kläffen der Hundemeute lauter wird, beginnt der Alte ihnen eine Geschichte zu erzählen – eine Geschichte von wunderhübschen Sirenen, einer großen, allesvernichtenden Flut und fliegenden Kühen, die auf Stalldächern landen.
So sehr zieht der Erzähler seine drei Zuhörer damit in den Bann, dass sie alles um sich herum plötzlich vergessen und nicht einmal mehr mitbekommen, wie knapp die Draisine der Hundemeute letztlich entkommen kann. Mit dieser Filmszene aus „Oh Brother Where Art Thou?“ begann am 08. Dezember an unserer Schule der Vorlesewettbewerb des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, eine Veranstaltung, die an über 7000 Schulen in Deutschland gleichzeitig stattfindet und unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten steht. Gerade in einer Zeit, in der sehr häufig halbaufmerksam Videoschnipsel und Memes rasch konsumiert, gelikt oder weggewischt werden, soll diese Veranstaltung Lust auf das Lesen und das Erzählen machen, jene Kunst des Menschen, einfach nur durch die Aneinanderreihung von Worten und durch einen ganz bestimmten Tonfall Zuhörer in den Bann zu schlagen und auf weite Reisen in Phantasiewelten zu schicken.
An dieser Kunst versuchten sich vier Schüler und Schülerinnen der sechsten Klassen, die von ihren Klassen in Vorentscheiden als ihre besten Vorleser bestimmt wurden. David Schilling (6a) las eine turbulente Szene aus Tina Zangs „Der Karatehamster legt los“ vor, bei der die durchgedrehte Hauptfigur, ein sportverrückter Hamster, im hohen Bogen in seinem Fressnapf landet.
Arina Riedl (6b) nahm uns mit an Bord eines Rettungssauriers aus Walter Moers „Die 13 ½ Leben des Käpt´n Blaubär“, der völlig abgebrüht seinen abstürzenden Opfern zusieht, um sich stets aber auch erst in der allerletzten Sekunde zum Rettungsflug aufzumachen, sodass die herunterpurzelnden Bergsteiger sich bis knapp über dem Boden nie sicher sein können, ob sie doch noch gerettet werden.
Jula Focks (6c) machte uns mit Cornelia Funkes berühmter Mädchenbande „Die wilden Hühner“ bekannt, die wissen, wie das Leben gelebt werden muss, denn ihr Motto ist: „Abenteuer kann man doch nicht planen wie ein Ballett oder sowas. Die warten um die Ecke und zack!“.
Anton Herbst (6g) ließ uns Roald Dahls „Matilda“ kennenlernen, ein Mädchen, dessen Vater nicht verstehen kann, was dieses ganze Lesen soll. Er wäre sogar bereit, ihr einen eigenen Fernseher zu kaufen, wenn sie es nur lassen würde. Doch Matilda ist längst abhängig.
In einer zweiten Runde musste jeder Teilnehmer noch einen völlig unbekannten Textauszug aus Michael Gerard Bauers „Nennt mich nicht Ismael!“ lesen.
Die Jury, die sich aus Monika Krieger vom Elternbeirat, der Schülersprecherin Lisa Kintrup, dem stellvertretenden Schulleiter Thorsten Krebs und dem Deutsch-Fachschaftsleiter Dr. Michael Köck zusammensetzte, konnte sich sehr lange nicht einig werden, wer nun am besten vorgelesen hatte. Alle Schüler hatten derart fesselnd vorgetragen, dass das Publikum, das immerhin alle 107 Sechstklässler der Schule umfasste, fast zwei Stunden sichtlich gebannt lauschte. Bei einer so beeindruckenden Leistung waren es letztlich Nuancen, die das Rennen entschieden haben:
Wir wünschen unserem Schulsieger Anton Herbst viel Glück, der im Februar unsere Schule im Kreisentscheid vertreten wird!
Andreas Breitruck