Auch und gerade in der digitalen Welt bleibt Lesen der Schlüssel zur Welt. Wer richtig gut liest, der kann schnell und zielgerecht die vielen Informationen in den unterschiedlichsten Medien erfassen und einordnen – das ist die eine, die „funktionale“ Seite des Lesens. Die andere, vielleicht noch wichtigere, ist die emotionale Bereicherung, die man durch ein gutes Buch erfahren kann: Dann taucht man in ferne Zeiten und fremde Welten ein und lässt sich von den Figuren fesseln, trösten, überraschen, man fiebert mit ihnen mit und schließt im besten Fall sogar lebenslange Freundschaft mit ihnen. Diese emotionale Seite des Lesens war beim diesjährigen Kreisentscheid des Vorlesewettbewerbs des Börsenvereins des deutschen Buchhandels in der Aula der Mittelschule Marktoberdorf in jeder Sekunde spür- und erlebbar, waren doch alle Schulsieger von 13 Schulen aus dem ganzen Ostallgäu absolute Könner, die ihre Vorträge zu spannenden, lustigen und bewegenden Erlebnissen machten. Bei so vielen Meisterleserinnen und Meisterlesern die oder den Beste(n) zu küren, ist der sechsköpfigen Jury aus Lehrkräften der verschiedenen Schularten sowie Vertreter*innen des örtlichen Buchhandels und der Stadtbibliothek Marktoberdorf nicht leicht gefallen, dennoch war sie am Ende einstimmig der Meinung, dass Leopold Gattinger aus der Klasse 6g des Gymnasiums Marktoberdorf mit seiner souveränen Darbietung herausstach.
Seit 1959 gibt es ihn schon, den Vorlesewettbewerb des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, bei dem Schülerinnen und Schüler der 6. Jahrgangsstufe ihre Fähigkeiten beim Vortragen und Interpretieren selbst ausgewählter und fremder Texte unter Beweis stellen können. Der Wettbewerb besteht aus zwei Teilen: In einer ersten Runde stellen die einzelnen Schulsieger zunächst jeweils ein Buch ihrer Wahl kurz vor und lesen dann etwa drei Minuten lang daraus vor. In der zweiten Runde wird es dann kniffliger: Die Teilnehmer*innen bekommen einen ihnen unbekannten Text vorgelegt, den sie – sozusagen „auf den ersten Blick“ – so lebendig und flüssig vortragen müssen, dass die Zuhörer den Sinn sofort erfassen und sich die Figuren möglichst plastisch vorstellen können. Gar keine so leichte Aufgabe bei Fabian Lenks Jugendroman „Die Zeitdetektive – Der letzte Ritter von Füssen“, bei dem eine Gruppe junger „Zeitdetektive“ ins Füssen des Jahres 1508 reist, wo Kaiser Maximilian I. ein Ritterturnier veranstaltet, das von verschiedenen Attentaten auf den Kaiser überschattet und von allerlei Abenteuern geprägt ist, welche die Vorleser*innen der Reihe nach in spannenden und lebendigen Kurzvorträgen schilderten.
Leopold Gattinger gelang diese Interpretation des Fremdtexts am besten, weil er es ausgezeichnet versteht, klug „vorauszulesen“, in Sekundenschnelle die Charaktere zu erfassen und damit den verschiedenen Figuren spontan und dennoch sinngerecht und überzeugend Leben einzuhauchen. Auf diese Weise wurde die von ihm vorgetragene Passage zu einem echten „Kinofilm“ im Kopf, durch den man sich die Geschehnisse im Füssen der frühen Neuzeit bildlich sehr gut vorstellen konnte. Während sich die Jury nach der zweiten Leserunde zur Beratung zurückzog, unterhielt die „Blue School Band“ der Mittelschule Marktoberdorf unter der Leitung von Mateusz Tott und Simone Zierl das Publikum mit rockigen Songs, die Zuschauer*innen konnten sich bei Gebäck und Kuchen stärken und durch den Bücherflohmarkt schmökern, bevor Schulrätin Eva Schwemmer und die Organisatorin des Kreisentscheids, Frau Helga Krebs, schließlich die verdienten Urkunden überreichten und den Sieger verkündeten.
Am Ende hatte sich die Jury nach eingehender Beratung einstimmig für Leopold Gattinger als Sieger des diesjährigen Kreisentscheids entschieden. Damit ist Leopold der beste junge Vorleser des Ostallgäus und wird den Landkreis beim kommenden Bezirksentscheid vertreten. Herzlichen Glückwunsch!
Thorsten Krebs