Einen alles andere als alltäglichen Gast hatten die elften und zwölften Klassen am 10.11.2023 zu Gast. Nach seinem Auftritt in der Filmburg Marktoberdorf im Rahmen der „Herbstlese“ am Abend des 9. November, die von der Buchhandlung Eselsohr veranstaltet wurde, erklärte sich Dinçer Güçyeter bereit, am nächsten Morgen auch
in der Aula des Gymnasiums vorzutragen.
Vielfach ausgezeichneter Lyriker und Romancier
Güçyeter ist in den aktuellen Literaturkreisen kein Unbekannter, so erhielt er 2022 den Peter-Huchel-Preis für Lyrik und erst unlängst den Preis der Leipziger Buchmesse für seinen kurzen Episodenroman „Unser Deutschlandmärchen“. Aber solche nüchternen Daten und Tatsachen können nicht im Entferntesten beschreiben, welch ein Erlebnis der Live-Auftritt dieses Künstlers ist!
Gabelstaplerfahrer und feinsinniger, sensibler Lyriker
Güçyeter tritt als Vereinigung größtmöglicher Gegensätze vor seine Zuschauer: ein großer, massiger, beeindruckender Mann, der in Wikipedia-Artikeln nach wie vor zuerst als Gabelstaplerfahrer vorgestellt wird, dem seine Speditionsfirma ein Schreibbüro im Logistiklager einrichtete, wo er empfindsamste Lyrik zwischen Türmen von Europaletten verfasste.
Ein erfahrener, souveräner Bühnenmensch, der selbstbewusst und selbstironisch auftritt – und sich dabei gleichzeitig von einer leisen, feinsinnigen Sensibilität zeigt. Kein Attribut scheint so wirklich auf Dinçer Güçyeter zuzutreffen – und er genießt es sichtlich, in keine gängige Kategorie zu passen. Direkt und offen berichtet er den Schüler*innen von seinem eigenen (langen) Weg zum Schreiben, er verschweigt nicht, wie oft er anfangs ausgelacht wurde, dass er nahezu alle seine frühen Gedichte vernichtet hat, weil er erkannte, dass er nur andere, fremde Gedichte nachahmte, aber seine eigene Stimme noch nicht gefunden hatte.
Vom Mut, die eigene Sprache zu finden
Das ist die zentrale Botschaft seines Vortrags an die Schüler*innen: Ein Mensch muss seine eigene Sprache finden – ein Mensch muss es lernen, aufrichtig über seine Gefühle zu sprechen – alles andere führt nirgendwohin. Dieser Mut ist es, den seine Zuhörer aus seinem Vortrag vor allem mitnehmen, der Mut, sich nicht vor dem Urteil
anderer zu fürchten und Dinge zu wagen, die einem vielleicht niemand zutraut, die man sich vielleicht selbst nicht recht zutraut. Deshalb sollte man einfach losschreiben – weil man Spaß daran hat.
Und das ist wohl der eigentliche Sinn von Kunst: Ein Mensch, der sich nicht verstellt und aufrichtig von dem erzählt, was ihn bewegt – etwas, das keine KI jemals können wird, da ist sich Güçyeter sicher. Außerdem würden einer KI, er betont es mit schlitzohrigem Lachen, nie „so schiefe Bilder“ einfallen wie ihm.
Text: Andreas Breitruck
Fotos: Claus Strunz