Es grenzt jedes Mal wieder an ein Wunder, dass beim Frühjahrskonzert kein Schulweghelfer oder gar Schutzpolizist die Verkehrsströme der unzähligen jungen Musikerinnen und Musiker beim Betreten und Verlassen der MODEON-Bühne regeln muss – so häufig wechseln Besetzungen, Aufbauten und Instrumentierungen der verschiedenen Ensembles des Gymnasiums Marktoberdorf. Wie von Geisterhand gesteuert findet selbst der kleinste Fünftklässler seinen Stuhl im Nachwuchsorchester und das bei reichlich Gegenverkehr. Und jedes Mal wieder erkennt man schon nach den ersten Tönen, dass sich diese logistische Reibungslosigkeit auch in der Musik der Schüler spiegelt, dass hier eben kein Wunder zu bestaunen ist, sondern das Ergebnis sorgfältigster Probenarbeit, penibler Planung, großer Disziplin und aufmerksamen Einander-Zuhörens.
Auch in diesem Jahr war das traditionelle Frühjahrskonzert im bis auf den letzten Platz gefüllten MODEON wieder eine beeindruckende klangliche Demonstration der musikalischen Arbeit am Gymnasium in ihrer ganzen Bandbreite: fast 400 Mitwirkende zeigten in den verschiedenen Chören und Ensembles, wie viel sie im vergangenen Schuljahr gelernt haben: Der Unterstufenchor unter der Leitung von Dr. Stefan Wolitz sang sich in feinem Englisch und geschliffenem Hebräisch, „der vierten Fremdsprache an unserem Gymnasium“ (Schulleiter Willi Mooser bei seiner Begrüßung in Anspielung auf den jahrzehntelangen Israelaustausch unserer Schule) mit einem israelischen Lied und Werken von John Rutter in die Herzen der Zuschauer. Das Vokalensemble der Mittelstufe knüpfte nahtlos daran an mit dem Joe-Cocker-Song „Magic Works“ aus dem Film „Harry Potter und der Feuerkelch" und zeigte dabei, wie sicher und sauber man bei entsprechender Stimmbildung auch noch in extremer Höher intonieren kann.
Fast noch größeres Hollywoodfeeling brachte dann der Mittelstufenchor (Dirigat: Susanne Holm) ins MODEON – nicht zuletzt dank einer souveränen Begleitcombo aus Instrumentalisten der Bigband und des Sinfonieorchesters. Die Verschmelzung der klaren Chorstimmen mit den Streichern, dem weich spielenden Bläsersatz und der behutsamen Rhythmusgruppe ließ besonders das harmonisch anspruchsvolle, von schwierigen Modulationen gespickte Titelthema aus „Avatar“ zu einem „filmreifen“ Erlebnis werden.
Auf welchem buchstäblich atemberaubenden Niveau man landen kann, wenn man als Schüler seine musikalische Laufbahn vom Unterstufenchor bis zur Oberstufenreife konsequent verfolgt, konnte man dann an einem der Höhepunkte dieses Abends hören, als das Vokalensemble (Leitung: Dr. Stefan Wolitz) die Zuhörer mit „Five Hebrew Love Songs“ von Eric Whitacre in den Bann zog. Diese mal lyrisch zarten, dann wieder frech pointierten musikalischen Liebeserklärungen Whitacres an seine Frau interpretierten die angehenden Abiturienten mit viel Wärme und beeindruckender musikalischer Reife, mit der sie sie nicht nur die diffizile Harmonik und die kniffligen Tempowechsel souverän meisterten, sondern – wichtiger noch – die Seele dieser berührenden Lieder freilegten. Pep Guardiola würde sagen: eine top top top Leistung. Wir sagen: ein musikalischer Hochgenuss. Der Jugendchor Ostallgäu entführte die Zuhörer dann ins 19. Jahrhundert und brillierte mit einer spannenden Interpretation von Robert Schumanns „Zigeunerleben“. Anschließend zeigte er, dass er mit spielerischer Raffinesse zwischen den Welten aus U- und E-Musik wandern kann: zunächst mit den witzigen Klangbildern bei Eric Whitacres „Animal Crackers“, zum Abschluss mit einer lässigen, aber dennoch bewegenden Version der Beatles-Klassiker „Let it Be“ und „Hey Jude“.
Im zweiten Teil des Abends begaben sich das Nachwuchsorchester und die Streicherklasse unter der Leitung von Stephan Dollansky auf die Spuren der „Pirates of the Caribbean“ und zeigten mit „Thank you for the Music“ der legendären ABBA-Frontmänner Benny Andersson und Björn Ulvaeus, welch große Fortschritte sie in den vergangenen Jahren gemacht haben. So ist es bis zu einem Auftritt in einem der „großen“ Orchester nicht mehr weit! Ein weiterer Höhepunkt des Abends waren sicherlich die eher selten zu hörenden Violinsonaten „Battaglia“ des böhmischen Barockkomponisten Heinrich Ignaz Franz Biber (1644–1704), der als virtuosester Geiger seiner Zeit galt. Seine Programmmusik, die eine komplette Schlacht von der derb-fröhlichen Aufstellung der „liederlichen Gesellschaft von allerley Humor“ über die verstörend-dissonanten Schreckensvisionen des Krieges bis zum Jammer der Verwundeten schildert, setzte das Kammerorchester (Leitung: Stephan Dollansky) in aufwühlender Weise in Szene. Konnte man die Ausdruckskraft der Streicher hier schon bewundern, so setzte der abschließende Auftritt des Sinfonieorchesters mit seiner Strahlkraft aus allen Instrumentengruppen klanglich noch eins drauf: Antonin Dvoraks „Slawischer Tanz“ aus der Oper „Rusalka“ geriet so zu einem Klangepos, dessen bald mysteriös-geheimnisvoller, dann wieder schwelgerisch satter Ton pure Lebenslust ausstrahlte. Vom „wilden Osten“ des 19. Jahrhunderts ging es dann abschließend in die amerikanische Moderne des 20. Jahrhunderts mit George Gershwins „An American in Paris Suite“, einer Tondichtung, die höchste Anforderungen an reine Intonation und aufmerksames Zusammenspiel stellt. Wie das 80-köpfige Orchester die abrupten Tempowechsel, die schrägen Jazzeinschläge mit ihren treibenden, synkopierten Rhythmen und die wilden glissandi dieses Werkes meisterte, löste das Versprechen einer kleinen „Leistungsschau“ der musikalischen Arbeit am Gymnasium, die Schulleiter Willi Mooser in seiner Begrüßungsrede versprochen hatte, in beeindruckender Weise ein.
Am Schluss des Abends bedankten sich Schulleiter Willi Mooser und Schülerinnen der einzelnen Ensembles mit Blumen bei den Musiklehrkräften Susanne Holm, Dr. Stefan Wolitz und Stephan Dollansky für deren unermüdliches Engagement, das Talent, die technischen Fertigkeiten, aber auch das Durchhaltevermögen und vor allem die Spielfreude unserer Schüler zu fördern. Am Ende gab es stehenden Applaus. Kein Wunder.
Thorsten Krebs